Stadtgespräch

Ich wusste immer: entweder es wird New York oder die Alm.

Marlene Kelnreiter im Interview

Marlene Kelnreiter hat vor vier Jahren ihren Marketing-Job in Wien gekündigt, um auf der Alm zu arbeiten. Heute ist sie erfolgreiche, professionelle Käsemacherin und bringt im Oktober ihr erstes Buch heraus. Wie man so eine lebensverändernde Entscheidung trifft, warum Marlenes Käse nach ihrer Persönlichkeit schmeckt und wie es sich nach 100 Tagen Natur pur anfühlt, wieder nach Wien zu kommen, hat sie der StadtSpionin im Interview verraten.

Marlene Kelnreiter auf der Alm mit Käse und Ziegen
Portrait Marlene Kelnreiter
StadtSpionin:Du produzierst auf der Alm deinen eignen Käse, obwohl du davor nie etwas damit am Hut hattest – wie kam es dazu?

Marlene Kelnreiter: Ich bin zwischen „net Fisch und net Fleisch“ in einer kleinen Siedlung in Oberösterreich aufgewachsen und hatte schon als Jugendliche das Verlangen an intensiven oder extremen Orten zu leben. Ich wusste damals schon: entweder es wird New York oder die Alm. Und die Alm ist es geworden. Dort bin ich in einer Käserei gelandet und seit drei Sommern verbringe ich dort 90 bis 100 Tage.

Es ist wahnsinnig mutig sich auf zu so einem Abenteuer zu machen. Was würdest du Frauen raten, die sich nicht trauen ähnliche Träume zu verwirklichen?
Träume sind schön, aber sie können auch Angst machen. Deshalb bin ich meinen schrittweise angegangen und habe erstmal während eines Almsommers geschnuppert, ob es mir überhaupt taugt. Und man sollte nicht zu hastig sein. Wenn der Moment im Leben passt, dann ergibt sich vieles von allein.

Aber hast du deinen alten Job während dieses einen Sommers zur Sicherheit noch behalten?

Nein… ich habe tatsächlich direkt gekündigt, was in der Übergangsphase auch zur ein oder anderen kleinen Panik-Attacke geführt hat (lacht).

Marlene Kelnreiter im Käsekeller
Käsekeller auf der Alm
Kann ich mir denken! Und wie hast du eigentlich deinen Platz auf der Alm bekommen?
Viele Wege führen auf die Alm. Der gängigste ist aber über Online-Plattformen wie www.zelp.ch, wo Almhilfen gesucht werden. Da kann man sich anmelden und einen Sommer lang gegen Kost und Logie schnuppern und Erfahrungen sammeln, um sich dann für bezahlte Alm-Jobs bewerben zu können.


Wer hat dir das Käsemacher-Handwerk beigebracht?
In meinem ersten Almsommer war ich als Zusennerin in der Alpkäserei Höhi-Voralp in der Schweiz und habe dem Senn (= Käsemacher) beim Käsen geholfen, bis ich ihn am Ende des Sommers selbstständig herstellen konnte.

Bist du immer auf der gleichen Alm oder produzierst du an unterschiedlichen Standorten?
Bisher war ich immer auf unterschiedlichen Almen, was gar nicht immer so einfach ist, da jede ihren individualisierten Herstellungsprozess hat. Zum Glück waren die Vorgänger immer vor Ort oder zumindest erreichbar, um mir Tipps zu geben.

Wie sieht ein Tag auf der Alm für dich aus?
Um fünf Uhr morgens geht’s erstmal los mit Feuermachen. Das brauche ich für den Ofen, der die Milch erwärmt. Dann schmiere und wende ich die Käselaibe, damit sie eine schöne Rinde bekommen. Und nachdem die Morgenmilch vom Milchbauern gebracht wurde, fange ich an sie zu wärmen, zu säuern etc. Naja, und dann ist zwischen zehn und halb elf der Käse des Tages schon in seiner Form. Dann geht’s an die größte Sauerei: die Reinigung. Wenn ich damit fertig bin, kuschle ich gern noch mit den Tieren oder erkunde die Gegend.

Du lebst die restliche Zeit in Wien. Wie fühlt es sich als Städterin mitten in der Natur, so komplett abgeschottet vom Urban Jungle, an?
Das sind für mich einfach zwei getrennte Universen. Auf der Alm kommt mir Wien unglaublich weit weg vor und wenn ich zurück in Wien bin, dann bin ich wieder durch und durch Großstadtmädchen. Aber insgesamt ist es manchmal sogar schwieriger zurück in die Stadt zu kehren, weil auf einmal alle Sinne wieder voll gereizt werden.

Marlene Kelnreiter auf der Alm
Marlene Kelnreiter auf der Ziegenalm
Bist du manchmal einsam auf der Alm?
Nein. Ich brauche die Zeit für mich und mit der Natur alleine. Und, wenn man mit jemandem reden möchte, ist eh immer wer da.

Was zieht dich immer wieder nach Wien zurück?
Die Menschen. Alle meine Freunde leben in Wien, mein ganzes soziale Netzwerk ist hier. Aber auch die Kultur. Sei es Kunst, Theater, die Architektur. Das weiß ich alles noch mehr zu schätzen, wenn ich von der Alm zurückkomme.

Womit hast du am meisten gehadert, als du den ersten Sommer auf der Alm verbracht hast?
Also der erste Sommer ist nicht unbedingt exemplarisch, denn damals war ich mit meinem damaligen Freund dort. Mein Fazit: Für Beziehungstests empfehle ich 100 Tage gemeinsam auf engstem Raum hart zu arbeiten und völlig übermüdet zu sein. (lacht). Auf dieser ersten Alm gab es außerdem einen Käseladen, zu dem den ganzen Tag über Touristen kamen. Das war mir viel zu sozial und super anstrengend.

In der Käserei auf der Ziegenalm
Käserei
Hast du manchmal daran gedacht aufzugeben?
Nein, das war für mich nie eine Option. Schon allein deshalb, weil ich den Bauern meine Hilfe zugesagt hatte.

Auf einer Alm arbeiten sicher mehr Männer als Frauen. Wie war das anfangs für dich und dann auch noch als absolute Neueinsteigerin?
Es gibt schon oft Frauenteams. Und vor allem früher lag Milchverarbeitung primär in Frauenhand. Daher war das für mich nie komisch als Sennerin zu arbeiten. Es gab schon die Situation, dass mir die Arbeit kraft- oder erfahrungsmäßig nicht ganz zugetraut wurde. Aber das liegt eher daran, dass die Bauern fast jeden Sommer mit neuen Teams arbeiten müssen und sich logischerweise manchmal sorgen, ob das auch gut geht.

Produziert man während so eines Sommers mehrere Sorten oder eine spezifische?
Immer eine pro Sommer. Da kann man auch nicht rumspielen, die sollen nämlich alle gleich schmecken. Man kann höchstens mit extraviel Liebe nachwürzen, das schmeckt man nämlich! Ein Senn hat mir mal gesagt: „Der Käse ist wie du. Wenn er süß und gut wird, dann passt’s. Wenn er bitter wird und stinkt, dann musst‘ was an dir ändern.“ Ein Glück – meine Käse waren bisher immer mild und sanft.

Was bereitet dir an deiner Arbeit am meisten Freude und woran kannst du dich immer noch nicht gewöhnen?
Am schönsten finde ich, dass es eine sinnvolle Arbeit ist. In unserer schnelllebigen Welt ist das etwas sehr Besonderes. Und negative Seiten – keine Ahnung … es ist nur ganz schön anstrengend hundert Tage am Stück körperlich durchzuarbeiten. Daran muss ich mich tatsächlich immer wieder neu gewöhnen.

Was machst du eigentlich außerhalb der Alm-Saison?
Ich gebe vor allem meine Käseworkshops. Und nebenbei führe ich noch mein Tagebuch „Dairy Maid Diary“ (dt. Milchmädchen Tagebuch), in dem ich meine Erfahrungen als Käserin festhalte (zu finden auf marlene-kelnreiter.at). Dafür gehe ich im Februar für zwei Monate nach Teneriffa, um auf einer Finca Ziegenkäse herzustellen.

Marlene Kelnreiter vor dem Käseladen
Marlene Kelnreiter
Du gibst auch Käse-Workshops. Was kann man alles bei dir lernen?

Die TeilnehmerInnen lernen alle Herstellungsschritte kennen, um ihren eigenen Käse auch zuhause produzieren zu können. Das beginnt mit dem Erwärmen der Milch und dem Anreichern mit bestimmten Bakterienkulturen. Danach wird die Milch dickgelegt und die Gallerte je nach Käsesorte anders geschnitten und unterschiedlich lange zu unterschiedlichen Temperaturen ausgerührt. Zum Schluss wird der Käsebruch abgefüllt und man lässt ihn – je nach Sorte – unterschiedlich lange reifen.

Was ist dein Lieblingskäse und womit kombiniert man ihn kulinarisch am besten?
Ziegenfrischkäse. Am liebsten mit Honig und gehackten Nüssen. Die leichte Säure harmoniert perfekt mit der Süße.

Bald erscheint dein erstes Buch. Erzähl uns ein wenig darüber und wie die Idee dahinter entstanden ist.
Wie so vieles in meinem Leben kam auch das überraschend. Der Löwenzahn-Verlag hat mich angeschrieben, dass sie gerne ein Buch zum Thema „Milchverarbeitung zuhause“ herausgeben würden. Das Buch kommt im Oktober raus, derzeit probiere ich lauter Käsesorten für die Rezepte aus und bin immer wieder fasziniert, was alles dabei rauskommt. Und im ersten Kapitel gibt’s ein paar Insights zu meinem Leben auf der Alm.

Und was gefällt dir am meisten daran dein eigenes Buch rauszubringen?
Ich finde es super, dass ich den Lesern damit zeigen kann, dass man nicht nur Brot oder Marmelade selbst produzieren kann, sondern auch Milchprodukte. Die meisten haben total viel Respekt davor und stellen es sich irre kompliziert vor. Das stimmt gar nicht – als Orientierung, meine Workshops dauern zweieinhalb Stunden und wir produzieren drei Sorten!

Wenn Wien ein Käse wäre, welche Sorte wäre es und warum?
Ein Weichkäse. Wien ist extrem facettenreich und jeder kann sich hier wohlfühlen. Ein fluffiges, formbares Konglomerat – wie Weichkäse.

Interview: Justine Lepoix

KONTAKT
Löwenzahn Verlag
Erlerstraße 10, 6020 Innsbruck
loewenzahn.at

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BISHER ERSCHIENEN

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Marlene Kelnreiter, Käsemacherin

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Lisz Hirn, Philosophin und Publizistin

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Katharina Rogenhofer, Sprecherin Klimavolksbegehren

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Leiterin KZ-Gedenkstätte Mauthausen

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Lisa Muhr, Mode-Designerin "Göttin des Glücks"

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Beatrix Patzak, Direktorin des Pathologischen Museums

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Elke Krasny, Stadtforscherin

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Monika Buttinger, Designerin "Zojas"

Ketevan Sepashvili, Pianistin