Stadtgespräch


Ich erde mich jeden Tag aufs Neue!

Margot Schindler im Interview

Dr. Margot Schindler (58), die Direktorin des Volkskundemuseums, wuchs in einem traditionellen Umfeld auf, studierte Volkskunde aus Interesse am Traditionellen und kletterte sehr traditionell die Karriereleiter hinauf. Die StadtSpionin sprach mit der Frau, die trotzdem von sich selbst behauptet, mit Tradition nicht viel am Hut zu haben.

Interview: Margot Schindler, Volkskundemuseum
Margot Schindler, Direktorin des Volkskundemuseums in Wien
StadtSpionin:
Der Volkskunde haftet ja etwas sehr Altmodisches an. Sehen Sie das auch so?
Dr. Margot Schindler: Richtig, Volkskunde wird im landläufigen Sinn als altmodisch gesehen. Wir selbst sehen uns aber nicht mehr nur als Österreichisches Volkskundemuseum, sondern als eine europäische Institution, die zwar lokale Phänomene aufgreift, aber sie im internationalen Kontext sieht.
Sind Sie denn selbst ein sehr traditioneller Mensch?
Nein, ganz im Gegenteil! Durch das gesamte Volkskunde-Wissen entwickelt man mit der Zeit eine Art "professionelle Deformation" - ich kann nicht mehr unbefangen eine Tracht tragen. Das heißt, ich trage auch keine. Viele Dinge, wie die Ausformungen des Traditionellen, sind national und nationalistisch konnotiert bzw. auch sehr traditionsgebunden. Der Nationalsozialismus hat der Volkskunde natürlich sehr geschadet. Diese Themen werden zwar weiter aufgearbeitet, aber immer noch sind wir mit dieser historischen Last beschäftigt.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, Volkskundlerin zu werden?
Das hat einen lustigen Hintergrund: Die Schwester meiner besten Schulfreundin hat Volkskunde studiert. Dadurch bin ich erst draufgekommen, dass dieses Studium überhaupt existiert. Und als jemand, der auf dem Land sozialisiert wurde - ich bin im Waldviertel augewachsen - kannte ich das, was die traditionelle Volkskultur ausmacht. Als ich dann zu studieren begonnen habe, bin ich sehr schnell draufgekommen, dass es  nicht um diese klassischen Themen wie Trachten und bemalte Möbel geht. Trotzdem oder gerade deswegen hat mich die Volkskunde gefesselt. Mein Zugang war aber sehr traditionell.
Interview: Margot Schindler, Volkskundemuseum
Die Museumschefin mit einem Ausstellungsstück
Wie machen Sie Menschen, die das Volkskundemuseum nicht kennen, einen Besuch schmackhaft?
Das Österreichische Volkskundemuseum ist leider weit unter seinem Wert bekannt! Was dieses Museum attraktiv macht, ist die Möglichkeit, die materielle Kultur Österreichs und der Länder der ehemaligen Monarchie in einer permanenten Schausammlung kennenzulernen. Wir haben hier ca. 200.000 äußerst wertvolle Dinge - aus der Geschichte bis hin zur Alltagskultur. Das ist ein wichtiger Teil unserer Identität, die hier bewahrt wird. Zusätzlich machen wir Sonderausstellungen, die aktuelle Themen aufgreifen. Momentan gibt’s gerade eine Ausstellung rund um die Thematik des 1. Mai bei uns zu sehen.
Warum ist das Volkskundemuseum weniger bekannt als viele andere Wiener Museen?
Wir sind so aktiv wie möglich. Von der Größe der Sammlung her und von dem, was wir aus- und darstellen, würden wir eigentlich in den Kreis der Bundesmuseen gehören. Wir sind aber ein Verein und gehören nicht zu den Bundesmuseen. Und aufgrund unser sehr engen wirtschaftlichen Bedingungen haben wir kaum eine Möglichkeit, Werbe- Maßnahmen im großen Stil zu setzen.
Interview: Margot Schindler, VolkskundemuseumWas unterschiedet Ihr Volkskundemuseum eigentlich von vergleichbaren Museen in Europa?
Das Museum wurde 1895 gegründet und agierte mehr als 20 Jahre im Rahmen der österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Gründungsidee war, die Völker der Monarchie gleichberechtigt in ihren Eigenarten darzustellen, ein Versuch, dieser damals schon auseinanderfallenden Monarchie noch ideologischen Halt zu geben. Deshalb besitzen wir heute aus all diesen Ländern Sammlungen.
Nach dem 2. Weltkrieg versuchte man dann, eine österreichische Identität zu kreieren. Alles was nicht österreichisch war, wurde in die Depots gebracht. Die damalige Schausammlung dokumentierte nur Österreich.
Interview: Margot Schindler, VolkskundemuseumUnd wann wurde diese Fokussierung auf Österreich aufgebrochen?
Erst in den 90er Jahren haben wir begonnen, einen kulturanthropologischen Blick auf unsere Objekte zu werfen und beschlossen, dass nicht die Regionen bedeutend sind, sondern die kulturprägenden Faktoren. Das ist ein spannender Ansatz, den wir verfolgen, und den damals noch niemand in Europa in den volkskundlichen Museen hatte. Insofern hat sich unser Haus einen sehr bedeutenden Stellenwert innerhalb der ethnografischen, volkskundlichen Museen in Europa erarbeitet. Interview: Margot Schindler, Volkskundemuseum
Ausstellungsstücke aus dem Volkskundemuseum Wien

Was bitte sind kulturprägende Faktoren?
Kulturprägende Faktoren sind auf der gesamten Welt dieselben, finden aber in unterschiedlichen kulturellen, wirtschaftlichen, sozialen und künstlerischen Phänomenen ihren Ausdruck. Wir haben vier Faktoren hervorgehoben: Natur und Umwelt, das Wirtschaften im Großen und im Globalen bis hinein in die Hauswirtschaft, der Mensch in seinem Verhältnis zur Geschichte, und die Gesellschaft.
Ihr Museum mit dem wunderschönen Garten ist im Palais Schönborn untergebracht. Es gibt aber große Probleme, das Haus in Schuss zu halten, oder?
Ja. Weder der Bund noch die Stadt Wien fühlen sich für uns und das Gebäude zuständig. Das ist ein großes Problem. Es ist nach wie vor so, dass das gesamte Haus saniert werden müsste. Der Verein hat die vertragliche Verpflichtung, das Haus zu erhalten, nur können wir uns das nicht leisten. Daher gibt es jetzt die Überlegungen, dass man das Volkskunde- und das Völkerkundemuseum zusammenfasst und in ein neues Museum gießt. Wir würden dieses Haus verlassen müssen und in die Hofburg, wo das Völkerkundemuseum beheimatet ist, siedeln.
Befürworten Sie diese Fusionierung?
Nur unter bestimmten Bedingungen. Es muss so sein, dass dieses neue Museum als eigenständiges Museum unabhängig agieren kann. Volkskundemuseum Wien
Das Palais Schönborn, das das Volkskundemuseum beheimatet, gehört dringend renoviert.

Haben Sie keine Angst, im Zuge einer möglichen Fusionierung Ihren Job zu verlieren?
Nein überhaupt nicht. Ich arbeite seit 31 Jahren in diesem Haus und bin, ich muss es so sagen, ein Fossil in der gegenwärtigen Museumswelt.
Sie sind seit 2006 Direktorin hier. In den vergangenen fünf Jahren sind in Wien sehr viele Frauen in die unterschiedlichsten Museums- Direktionen eingezogen. Hat das einen bestimmten Hintergrund?
Es hängt ingesamt mit einer riesigen Veränderung in der Museumsszene zusammen. Durch die starke Hinwendung zu Sonderausstellungen und zum Publikum ist eine größere Mobilität und Dynamik mit ganz neuen Persönlichkeiten entstanden. Heute müssen Museums- Direktoren eine Öffentlichkeitswirksamkeit haben, Präsenz zeigen und über Managementqualitäten verfügen. Sie sollen aber auch die Fachkompetenz haben, ihr Fach adäquat vertreten zu können, was bei den neu bestellten Direktorinnen durchwegs der Fall ist. Eine absolute Bereicherung!
Wie sieht denn so ein Arbeitsalltag einer Direktorin aus?
Äußerst bunt. Bei mir gibt sich ein Besucher nach dem anderen die Türklinke in die Hand, mein Büro ist offen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich halte diesen ständigen Austausch für sehr wichtig. Wir entscheiden auch gemeinsam über die Projekte, die wir machen wollen. Ansonsten sitze ich sehr viel am Computer, meist aber erst am Abend.
Das hört sich nach ziemlich viel Arbeit an, bleibt da noch Zeit für Privates?
Ich muss gleich vorwegschicken, dass ich zu denen gehöre, die mit ihrem Job fast verheiratet sind, auch wenn ich einen Ehemann habe, der natürlich schon an erster Stelle steht.  Aber ich widme meinem Beruf sehr viel Freizeit und arbeite auch sehr viel zu Hause. Ich lebe mit ganzem Engagement für den Beruf.
Volkskundemuseum Wien
Vom Büro der Chefin blickt man auf den Garten des Museums
Bleibt denn da noch Zeit für Anderes?

Ein ganz großer Ausgleich zu meiner Arbeit ist mein Garten! Ich wohne mitten in der Stadt, habe aber das Glück, dass ein Garten zu meiner Wohnungn gehört. In der Früh gehe ich gerne barfuss raus und stelle mich in die Wiese, einfach um mich zu erden. Das ist unglaublich wichtig. Am Abend, egal wie spät es ist,  gehe ich zu jedem meiner Sträucher und Pflanzen, begutachte sie wie sie wachsen. Das ist Entspannung pur.
Was würde wohl im Jahr 2100 in einem Volkskundemuseum von unserer jetzigen Gegenwart ausgestellt werden?
Vor dieser Frage stehen alle kulturwissenschaftlichen Museen. Die Gegenwart hat eine Masse an materiellen Dingen hervorgebracht, die nicht alle gesammelt werden können. Man braucht sich nur jeden Haushalt anzuschauen. Wir haben ja nicht mehr nur drei Töpfe, sondern es gibt zwanzigtausend verschiedene Maschinen und Formen. Deshalb wird nach bestimmten themenspezifischen Gesichtspunkten gesammelt. Um ein Beispiel zu geben: Vor ein paar Jahren gab es doch diese Sonnenfinsternis. Da ist ein irrsinniger Hype entstanden, die Menschen haben sich spezielle Brillen besorgt und es hat auch Souveniers gegeben, die mit der Sonnenfinsternis zu tun hatten. Wir haben also vor ein paar Jahren alles im Zusammenhang damit gesammelt und im Depot verstaut.
Das heißt, Sie sind auch im Alltag ständig auf der Suche nach neuen Objekten für das Museum?
Ja, ich bin sozusagen permanent im Dienst. Auch im Urlaub oder wenn ich mich einfach durch die Stadt bewege. Schließlich kann alles interessant sein, was sich im Leben so abspielt!

Gracia Geisler (Mai 2010)

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KONTAKT
Österreichisches Museum für Volkskunde
Laudongasse 15-19. 1080 Wien

Di - So 10:00 bis 17:00 Uhr.
www.volkskundemuseum.at

 

 

 

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