Stadtgespräch


Die Wiener sind Verbalerotiker

Ingrid Mack im Interview

Ingrid Mack hat Wiens Erotik-Landschaft mit zwei völlig neuen Konzepten verändert. Zuerst gründete sie das "Condomi", Wiens erstes Kondomfachgeschäft und dann den Shop "Liebenswert", ein Erotikfachgeschäft nur für Frauen. Der StadtSpionin erklärte die  Diplomierte Sexualpädagogin, die 1965 in Wels geboren wurde und nun schon lange in Wien lebt, warum in jeden Haushalt ein Vibrator gehört.

Ingrid MackStadtSpionin: Sie haben sich Ihren Ausspruch: „Lebensmittel braucht man zum Leben, Liebensmittel braucht man zum Lieben“ international schützen lassen. Ist Sex denn tatsächlich so wichtig wie das tägliche Brot?
Ingrid Mack: Ja! (lacht) In der Pubertät werden wir durch die Sexualität überhaupt erst zu dem Individuum, das uns ausmacht. Die Sexualität ist ja etwas, das die Einheit von Geist und Seele aufrecht erhält.
Also ist sie eine Triebfeder zum Glück?
Wenn das Sexualleben nicht gestört ist, dann macht es uns glücklich. Wir brauchen auch die Entspannung und die Glücksmomente, die nach einem Sexualkontakt  – sei es mit einem Partner oder mit sich selbst – entstehen. Auch die sind notwendig, um unsere Seele in der richtigen Balance zu halten.
Deswegen sind ja auch die Vibratoren überhaupt erst entstanden.
Genau, das hat alles Anfang 1900 stattgefunden. Da ist man vorher als Frau mit Hysterie zum Arzt geschickt worden, der hat die Frauen dann „manipuliert“, sprich masturbiert. Die Frauen gingen da hin, ließen sich einen Orgasmus durch den Arzt bescheren. Der hat das mit der Hand gemacht, daraus entstand dann der Vibrator, damit der Arzt eine Gerätschaft hat, mit der er die Frauen zum Orgasmus bringt.
Vibratoren in allen Spielarten gibt’s natürlich auch in Ihrem Shop Liebenswert, dem ersten Wiener Erotikfachgeschäft nur für Frauen. Was haben Sie hier denn sonst noch alles, das Frauen glücklich macht?
Also wir haben schöne, bunte Spielzeuge, die Spaß machen, Gleitgel, Massageöle, Wäsche, Corsagen, und qualitativ hochwertige DVD’s, die auch Frauen ansprechen.
 StadtSpionin Wien
1994 eröffnete Ingrid Mack das erste Kondom-Fachgeschäft Österreichs.
Qualitativ hochwertige DVD's? Werden in der Pornoindustrie denn neuerdings anspruchsvolle Filme produziert?
Die Nachfrage nach Qualitätspornos ist leider immer noch gering. Die Produzenten sagen sich: Warum soll ich einen Film herstellen, der mich viel Kulisse, Denkarbeit und ein Drehbuch kostet? Denen ist das zu aufwendig. Aber vor ca. 10 Jahren hat dasangefangen, dass Frauen gesagt haben: Okay, da gibt’s nur Schund, aber wir wollen was Schönes sehen. Und manche von denen haben das dann einfach selbst gemacht.
Wie war das denn generell 2004, als Sie das Separee, den Vorläufer von Liebenswert, gegründet haben? Gab's da überhaupt schon einen Markt für die weibliche Lust?
Naja, ein paar Jahre vorher war das alles im Kommen, da hat die Firma Fun Factory die ersten Sex Toys aus Silikon hergestellt. Das war ja revolutionär, weil bis dahin gab’s nur diese grauslichen Plastik-Penis-Nachbildungen.
Und wie ist das heute?
Also alles, was in der erotischen Phantasie Platz hat, das gibt es heute schon zu kaufen. Es gibt nichts mehr, wo ich sage: Die Phantasie hab ich und ich finde das nicht am Markt.  Heute geht es mehr um Umweltverträglichkeit und Qualität. Es gab früher nämlich ganz viele toxische Sex Toys und Vibratoren, die sogar Gebärmutterhalskrebs erzeugen können.
Das Liebenswert nennt sich Erotikfachgeschäft für Frauen und alle, die Frauen lieben. Warum haben Sie sich im Liebenswert auf die weibliche Lust spezialisiert?
Viele Frauen brauchen eine Plattform, die gehen mit ihren Phantasien nicht in einen normalen Sexshop und sie finden sich dort nicht wieder. Und mein Geschäft ist nicht schmuddelig. Was wir nicht sein wollen, ist ein Sexshop. Ich will keine Leute, die nach grauslichen Sexvideos Ausschau halten und sich mit dem zufrieden geben. Ich will Kunden, die mit ihren sexuellen Vorlieben experimentieren und die sich vielleicht nie in  StadtSpionin Wien
Kondome in allen Formen und Farben, gerillt, genoppt und mit Geschmack.
einen normalen Sexshop trauen würden.
Was haben Sie da dann für ein Klientel?
Also das ist recht gemischt, es fängt bei 18 an, drunter dürfen wir natürlich nicht verkaufen. Die Grenze nach oben hin  ist offen. Grad gestern war eine 76- Jährige da, die hat einen jüngeren Freund und wollte sich was Gutes tun.
Verirren sich auch Männer hierher?
Natürlich, wir wollen die Partner ja nicht ausschließen. Es kommen zum Beispiel Männer, die für ihre Frauen ein lustvolles Geschenk mitnehmen. Oder Paare, die sexuelle Probleme haben. Ich habe die Ausbildung zur Sexualpädagogin gemacht und eine Psychotherapeutin macht regelmäßig Sextalks und Workshops.
Was sind das dann zum Beispiel für Probleme, die da besprochen werden?

Also das letzte Mal hatten wir: „BDSM – Die dunkle Seite der Sexualität?“, das nächste Thema ist das Große O, also da geht es um den weiblichen Orgasmus. Laut Studien hat nur jede 7. Frau einen Orgasmus und jede 5. Frau hatte überhaupt noch nie einen. Das ist schon sehr tragisch!
Warum glauben Sie ist das so? Kommen weibliche Bedürfnisse immer noch zu kurz?
Hm, ich finde die weibliche Sexualität ist heute eine sehr verdrehte. Es ist alles nicht leichter geworden, eher komplizierter. Frauen wollen so viele Dinge unter einen Hut kriegen und da dann noch lustvoll in die Welt hinaus zu gehen, das ist sehr schwierig.
Was raten Sie da?
Zuerst obliegt es natürlich jeder Frau selber, ihre sexuellen Wünsche und Forderungen einzuholen und einzufordern. In vielen Paarbeziehungen liegt das größte Problem darin, dass einfach nicht über Sex geredet wird und über die Probleme, die man damit hat. Man muss das dem Partner ja auch richtig präsentierten und erklären, damit er das annehmen und verstehen kann.
 StadtSpionin Wien
DAS Erotikfachgeschäft für Frauen: 2008 eröffnete Ingrid Mack ihr zweites Geschäft, das Liebenswert.
Nach all der Erfahrung in dem Business: Gibt es denn einen großen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Lust?

Ja, einen gewaltigen! Rein genetisch und hormonell ist das für mich was komplett anderes. Die Hormone steuern einfach, wie wir sexuell agieren.
Aber ist das nicht ein bisschen zu einfach, alles auf die Hormone runterzubrechen?
Klar spielen andere Faktoren auch eine Rolle für die sexuelle Entwicklung. Vor allem die Kindheit macht viel aus. Da ist nicht nur wichtig, wie dort mit Sexualität umgegangen wurde, sondern auch andere prägende Erlebnisse nehmen Einfluss darauf. Und natürlich ist es auch entscheidend, dass man im Laufe seiner Biografie positive sexuelle Erfahrungen macht.
Wie war das bei Ihnen? Sie sind ja in Wels aufgewachsen, ist da in der Kindheit offen mit Sexualität umgegangen worden?
Also bei uns in der Familie war Sex nie ein Thema, es war aber auch kein Tabu. Meine Geschwister waren noch richtige Hippies, da habe ich als Jüngste auch einiges mitgekriegt. Dann fragt man halt die älteren Geschwister, und man kriegt ja mit, was die so treiben. Ich war da immer sehr neugierig. (lacht) 
Dann war es für Ihr Umfeld wohl auch nicht so verwunderlich, als Sie 1994 das Condomi, das erste Kondomfachgeschäft Österreichs, eröffnet haben?
Alle, die mich kannten, haben gemeint: Na wenn das jemand kann, dann bist es du, das passt zu dir! Über Sex zu sprechen, Sex zu enttabuisieren, da war ich in meinem Metier. Ich kann da einfach gut und überzeugend darüber reden.
Obwohl die Sexbranche ja eigentlich eine spätere Berufung war. Vorher waren Sie lange Zeit in der Gastronomie tätig...
Ja, der Wechsel hatte private Beweggründe. Und zwar war meine Busenfreundin, mit der ich in die Schule gegangen bin und mit der ich’s in der Adoleszenz ganz wild getrieben hab, 1984 einer der ersten HIV- Fälle in Österreich.
Wie gut war man damals über HIV informiert?
Noch sehr schlecht. Viele haben nicht gewusst, was das genau ist oder wie man sich das holt. Das war damals als Schwulen- und Fixerkrankheit bekannt. Und durch meine  StadtSpionin Wien
Hell und freundlich präsentieren sich Wäsche, Spielzeug und allerlei sinnliches Zubehör.
Freundin wurde uns allen klar: Aha, das kann man sich auch über sexuellen Kontakt holen.
Sie wollten also einen Beitrag zur Aufklärung leisten?
Ja, auf jeden Fall. Die Aidshilfe wurde zwei Jahre vorher gegründet, der Life Ball hatte 1997 sein erstes Mal. Da wollte ich auch was tun! Und außerdem hat’s Spaß gemacht, den Menschen zu zeigen, wie spannend Kondome sein können (lacht).
Das ist alles lange her, nächstes Jahr wird das Condomi schon 20. Wie hat sich das Thema Sexualität seither verändert?
Also wenn ich mir anschau, wie meine Jugend verlaufen ist, dann bin ich ganz froh, dass ich noch in dieser Hippie-Flower-Power Endepoche war. Da war nicht alles so streng und so reglementiert. Der Zugang zu Sex wird immer komplizierter. Die Menschen sehen das Thema jetzt vorsichtiger und rationaler. Viele gehen kognitiv und nicht sensitiv an Sex heran. Und daraus entstehen wahnsinnig viele Probleme! Was heute gebraucht wird ist nicht mehr Aufklärung, sondern psychologische Beratung. Um die Lockerheit wieder zu finden und um eine erfüllte Sexualität wieder wahr zu nehmen.
Was ist das für Sie, eine erfüllte Sexualität?
Dass jeder seine Fantasien und Bedürfnisse wahrnimmt. Und zwar wirklich seine eigenen. Nicht die, die er in irgendeiner Zeitschrift liest oder in irgendeinem Film sieht oder von irgendwelchen Freunden erzählt bekommt. Man muss seine Bedürfnisse eruieren und entsprechend dann schauen, wie man die befriedigen kann. Ob’s jetzt allein ist, mit einer Bekanntschaft oder einem fixen Partner, das ist völlig egal.
Zum Schluss: Sie leben jetzt schon mehr als 25 Jahre in Wien. Gehen die Wienerinnen und Wiener denn offen mit Sexualität um?
Da war letztens eine Berliner Damengruppe bei mir und die haben dann gemeint: Die Wiener sind Verbalerotiker! Und wenn man mal hinhört, wird’s ja wirklich schnell derb: du Sau, du Drecksau, du Fut. Also ich glaub ja, der Wiener ist prinzipiell schon a klane Drecksau.

Barbara Moser
(April 2013)

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